Was will mein Hund? – Die 4 Grundbedürfnisse jedes Hundes

So unterschiedlich Hunde auch sind – 4 Bedürfnisse haben sie alle gemeinsam. Sie zu erkennen, zu verstehen und zu berücksichtigen, ist die Grundlage für eine Hundeerziehung im Vorteil von Hund und Mensch. Die 4 Bedürfnisse spiegeln sich in den Instinkten wider, die die Beweggründe für das Verhalten unserer Hunde darstellen. Und die sind unseren menschlichen Beweggründen ganz ähnlich, nur findet man sie bei uns Menschen in abstrakterer Form wieder.

Sozialinstinkt

Wie auch wir Menschen leben Hunde in sozialen Gruppen – sei es mit uns Menschen gemeinsam im Haus, mit Artgenossen auf der Strasse oder im Fall von Wölfen im Rudel in der Natur. Das Zusammenleben mit anderen und die Kommunikation untereinander erhöht die Überlebenschancen. So können gemeinsam erfolgreicher Feinde vertrieben, Beutetiere erjagt und Nachwuchs grossgezogen werden. Die Zusammenarbeit mit anderen war und ist die Eigenschaft an Hunden, die wir am meisten schätzen und die überhaupt dazu geführt hat, dass Mensch und Hund heute zusammen leben. Das Sozialverhalten von Hunden bezieht sich auf das Verhalten gegenüber den Mitgliedern der eigenen sozialen Gruppe, also gegenüber den Hunden oder Menschen, mit denen der Hund zusammenlebt (und gegebenenfalls auf ausgewählte Hunde- oder Menschenfreunde). Das Verhalten fremden Hunden oder Menschen gegenüber ist nicht dem Sozialverhalten zuzuordnen, sondern dem Territorialverhalten (dazu siehe unten). Häufig jedoch erlebe ich, dass Menschen sich im Grunde Hunde wünschen, die nur sozial agieren, und dabei vergessen, dass Hunde noch andere Bedürfnisse haben, die befriedigt werden sollten, damit sich unsere Hunde bei uns wohlfühlen.

Jagdinstinkt

Alle Hunde sind Beutegreifer, das heißt Jäger, die ihre Beute (mit der Schnauze) greifen. An ihrem Gebiss und dem Aufbau ihres Verdauungsapparates ist es noch besonders gut erkennbar und die vielen Geschichten über Hunde, die Hasen aufstöbern, Vögeln nachsetzen, Mäuse fangen und beim Anblick eines Rehs nicht mehr zu halten sind, zeugen vom Jagdinstinkt unserer Hunde. Doch nicht alle Hunde jagen gleich. Eine Jagd ist in verschiedene Sequenzen aufgeteilt. Dazu gehören... ... das Orten der Beute ... das Fixieren ... das Anpirschen ... das Hetzen ... das Packen ... das Töten ... das Zerlegen ... das Tragen ... das Fressen. Durch unsere Rassehundezucht und abhängig davon, auf welche Beutetiere ein Hund spezialisiert ist, sind einige Jagdsequenzen besonders stark ausgeprägt, andere wiederum eher schwach oder sie fallen ganz weg. So sind bei einem Hütehund das Fixieren, Anpirschen und Hetzen besonders hervorgezüchtet, das Packen und Töten wiederum ist nicht erwünscht. Bei einem Terrier dagegen sind das Orten, Hetzen, Packen und Töten besonders ausgeprägt, das Fixieren und Anpirschen treten in den Hintergrund. Und auch wenn es erstmal abwegig klingt – auch uns Menschen ist Jagdverhalten gar nicht mal so fremd. Wenn wir Jagdverhalten übersetzen mit «(Nahrungs)Erwerbsverhalten», dann ist der Schritt zur «Erwerbstätigkeit» nicht mehr weit – und Erwerbstätigkeit dient ja auch in erster Linie dazu, dass wir abends etwas zu Essen auf dem Tisch stehen haben. Bei uns ist der Prozess des Nahrungserwerbs nur oftmals deutlich komplexer und abstrakter geworden als beim Hund. Bei uns Menschen ist aber weithin bekannt, dass Erwerbstätigkeit – wenn es eine Arbeit ist, die uns Spass macht – dazu beiträgt, dass wir ein gutes Selbstwertgefühl entwickeln. Das Gefühl, etwas erarbeitet zu haben, tut uns gut und selbst zubereitetes Essen schmeckt ja auch immer am besten. Arbeitslosigkeit hingegen führt in vielen Fällen zu einem geringeren Selbstwertgefühl. Auch unseren Hunden tut es gut, wenn sie etwas erarbeiten dürfen – dabei sollten sie aber keine Existenzangst haben müssen und Futter nur gegen Leistung erhalten. Wir können unseren Hunden mit einer gemeinsamen Ersatzjagd mit Futterbeuteln eine artgerechte Alternative zur echten Jagd bieten, anstatt die natürliche Veranlagung zur Jagd zu unterdrücken.

Territorialinstinkt

Ein Territorium oder Revier brauchen Hunde in der Natur, um in Sicherheit leben zu können. Es ist ein begrenztes Gebiet, in dem sie schlafen, spielen, jagen, sich fortpflanzen, Nachwuchs grossziehen und was man sonst halt so als Hund macht. Das Gebiet ist deshalb begrenzt, weil auch andere Hunde (oder andere Beutegreifer) Nahrung finden müssen, vor Sonne, Wind und Regen geschützt schlafen wollen und danach streben, ihre Gene weiterzugeben. Ressourcen wie Nahrung, Liegeplätze oder Sexualpartner sind aber nicht unbegrenzt verfügbar und deshalb stehen Hundegruppen zueinander in Konkurrenz. Um Konflikten aus dem Weg zu gehen, markieren Hunde deshalb ihr Territorium mit Urin und Kot, um es nach aussen hin abzugrenzen und die darin vorhandenen Ressourcen zu schützen. Territorialität könnte man also mit «Bedürfnis nach Sicherheit» übersetzen. Dieses Bedürfnis haben wir Menschen auch. Türen, Gartenzäune, Alarmanlagen, Autoschlüssel, das Handtuch auf dem Liegestuhl am Pool und Passwörter dienen genau zum gleichen Zweck, nämlich dem Schutz unserer körperlichen Unversehrtheit und unserer Ressourcen wie Nahrungsmittel, Schlafplätze, technischen Geräte und finanziellen Rücklagen. Und nicht zuletzt haben wir Gesetze geschaffen, die uns davor bewahren sollen, dass uns Leid zugefügt oder Ressourcen entwendet werden, obwohl wir auf so engem Raum mit anderen Menschen leben, die wir zum großen Teil nicht kennen. Diese abstrakten Formen für Sicherheit zu sorgen kennen Hunde nicht. Sie versuchen, über das Markieren von Grenzen, oder durch das Abchecken anderer Hunde oder Menschen, durch Imponier- und Drohverhalten und in letzter Konsequenz Aggression für ihre Sicherheit zu garantieren. Das hat zunächst einmal nichts mit einer Verhaltensstörung zu tun, sondern ist Normalverhalten, das in einem nicht zum Hund passenden Lebensraum (z.B. in der Stadt oder auch auf dem Land in direkter Nachbarschaft zu anderen Hunden, die als Konkurrenz wahrgenommen werden) zu Problemen führen kann. Wichtig zu wissen ist, dass Hunde nicht das Bedürfnis haben, zu bewachen oder Aggression zu zeigen. Es ist für sie das notwendige Übel, um für ihre Sicherheit und oftmals auch die Sicherheit ihrer Besitzer/innen zu sorgen. Aggression ist aus Sicht des Hundes kein Problemverhalten, sondern Problemlöseverhalten. Wir Menschen müssen also nicht dafür sorgen, dass unsere Hunde etwas zum Bewachen bekommen, sondern wir müssen dafür sorgen, dass sich unsere Hunde bei uns so sicher fühlen, dass sie es nicht für nötig halten, aggressiv auf andere Hunde oder Menschen zu reagieren. Wir müssen für unsere Hunde sichtbar machen, dass wir unsere Umwelt beeinflussen können und damit auch ihre Sicherheit garantieren können.

Sexualinstinkt

Für unsere Haushunde ist es nahezu unmmöglich, ein biologisch normales Sexualleben zu führen. Welcher Hund hat in unserer Gesellschaft schon die Möglichkeit, sich seinen Partner/ seine Partnerin selbst auszusuchen, darüber zu entscheiden, ob und wann er bereit ist, sich zu paaren und dann gemeinsam als Hündin und Rüde die Welpen großzuziehen? Stattdessen leben deutlich mehr Hunde auf engem Raum beeinander als es in der Natur der Fall wäre. Dadurch erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit eine läufige Hündin oder einen intakten Rüden in der unmittelbaren Umgebung zu haben, den der Hund zwar wahrnehmen kann (riechen, hören, sehen, etc.), aber mit dem er sich nicht verpaaren darf. Das kann zu sexueller Frustration führen, aus der heraus Hunde dann dem anderen Geschlecht gegenüber weniger einfühlsam agieren, Stress bekommen oder sich Verhaltensstörungen wie das Rammeln von Gegenständen entwickeln. Ob das passiert, ist von vielen Bedingungen abhängig. Persönlichkeit, Alter, Wohnsituation, Lebenserfahrung, Jahreszeit, Geschlecht der anderen Hunde oder Menschen im Haushalt, Sozialstatus und Erziehung sind nur einige Faktoren, die Einfluss auf das Sexualverhalten von Hunden haben können. Wir sollten uns bewusst sein, dass Sexualität ein hündisches Bedürfnis ist, das das gesamte Verhalten unserer Hunde mehr oder weniger beeinflussen kann. Mit dem Wissen darüber werden viele Verhaltensweisen erklärbar und wir können unseren Umgang mit ihnen anpassen. So ist es beispielsweise nicht selten oder verwunderlich, dass zwei intakte Rüden, die normalerweise die besten Freunde sind, im Kontakt mit einer Hündin plötzlich zu Konkurrenten werden. Oder dass eine intakte Hündin, die bei Herrchen ein absolut lieber und verschmuster Hund ist, bei der neuen Freundin von Herrchen nicht mehr so nett ist. Ich bin keineswegs eine Befürworterin von pauschaler Kastration oder gar der wahllosen Verpaarung von Hunden. Ich bin eine Befürworterin davon, durch Erziehung Einfluss auf den Sozialstatus und die Erfahrungen eines Hundes zu nehmen, sodass im Optimalfall gar nicht erst starke sexuelle Frustration aufkommt. Dennoch finde ich, dass nach Ausschöpfen aller erzieherischen Mittel über eine Kastration nachgedacht werden sollte, wenn der Hund durch seine Sexualität grossem körperlichem oder psychischem Stress ausgesetzt ist. Aber eben auch erst dann.

Der Instinktkreis

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Die 4 Instinkte können unterschiedlich stark ausgeprägt sein und existieren nicht losgelöst voneinander. Sie beeinflussen sich immer gegenseitig. In der Natur sind Hündin und Rüde nicht nur Sexualpartner, sondern auch Sozialpartner. In der sozialen Gruppe werden spielerisch die Regeln des Zusammenlebens gelehrt und im Spiel werden lebenspraktische Fertigkeiten gelernt, wie etwa das Anschleichen an ein Beutetier, das Hetzen, das Kämpfen, das Verteidigen von Ressourcen und vieles mehr. Später können die im Spiel erlernten Fähigkeiten dann im echten Leben erprobt werden. Die gemeinsame Kommunikation ermöglicht strategisches Vorgehen bei der Jagd, so dass als Gruppe auch grössere Beutetiere erlegt und auch verteidigt werden können. Das Beanspruchen eines Territoriums sichert Ruheplätze, ausreichend Beutetiere und einen geschützten Raum zum Aufziehen der Welpen. Jan Nijboer, der Begründer von Natural Dogmanship, hat die 4 Instinkte in einem Modell, dem sogenannten Instinktkreis, zueinander in Bezug gesetzt. Bei Wölfen oder besonders ursprünglichen Hunden, die nicht selektiv gezüchtet wurden, kann man sich die Verteilung der Instinkte etwa wie im abgebildeten Instinktkreis vorstellen, wobei es natürlich je nach Persönlichkeit immer individuelle Verschiebungen gibt. Bei Rassehunden wurden die Anteile jedoch absichtlich verschoben, um Hunde für bestimmte Arbeiten einsetzen zu können. So kann man sich vorstellen, dass Retriever besonders viel Sozialinstinkt, gepaart mit Jagdinstinkt ausgebildet haben, um sie für das Apportieren des Wilds bei der Entenjagd einsetzen zu können. Herdenschutzhunde dagegen haben einen ausgeprägten Territorialinstinkt, dafür aber einen weniger stark ausgeprägten Jagdinstinkt, um sie für das Bewachen der Schafsherden einzusetzen. Ist einer der Instinkte besonders ausgeprägt, so ist dafür einer oder mehrere der anderen Instinkte schwächer ausgeprägt. Zusätzlich zur Rasse beeinflussen aber auch Persönlichkeit, Alter und Erfahrungen die Instinktveranlagung und damit auch die Bedürfnisse unserer Hunde. Der Instinktkreis kann als Modell eine Hilfe sein, um die Veranlagung des eigenen Hundes besser zu verstehen. Hunde sind viel zu komplex, als dass wir sie rein auf den Sozialinstinkt reduzieren könnten und sie haben es verdient, dass wir sie mit all ihren Bedürfnissen ernstnehmen und uns darum bemühen, diesen gerecht zu werden. Wenn wir zuerst darauf schauen, dass wir die Bedürfnisse unserer Hunde erfüllen, dann bekommen wir das, was wir für den Alltag mit ihnen brauchen (wie Rückruf, Impulskontrolle, Gelassenheit in aufregenden Situationen, Leinenführigkeit etc.) gratis dazu. Aber wir sollten nicht den Fehler machen, zuerst von ihnen Gehorsam zu verlangen, bevor wir uns damit beschäftigt haben, was sie für ein glückliches und entspanntes Leben brauchen. Diese Verantwortung sind wir eingegangen, als wir uns einen Hund angeschafft haben.

Autorin: Sarah Feist
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